Die 15. Ausgabe "Be Well in Hamburg St. Georg" ist erschienen  

St. Georgs Stadtteilführer für 2024

 

Jetzt verfügbar
    - unverwechselbar und individuell -
 

   

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Dragomirs Spruch der Woche
frei nach Winston Churchill: "Etwas aufzubauen mag langsame und mühsame Arbeit von Jahren sein. Es zu zerstören kann der gedankenlose Akt eines einzigen Tages sein."

   

"Ich hab so viele Fragen!", lautet das Leseprogramm von Peggy Parnass im Deutschen Schauspielhaus. Ich habe auch viele Fragen an die bekannte St. Georgerin. Seit Jahrzehnten, schon seit den 70er Jahren, wohnt die Kolumnistin, Reporterin, Autorin und Schauspielerin auf der Langen Reihe. Als wir uns Mitte März zum Mittagstisch verabreden, ist Peggys erste Frage am Telefon, was im Schauspielhaus-Programmheft denn "bitteschön FAQ-Room" bedeuten würde? "Frequently asked questions - häufig gestellte Fragen", antworte ich.
Es geht nur links um die Ecke, ins Casa di Roma zum Mittagstisch. Alle Kellner begrüßen die Dame mit den roten wuscheligen Haaren freundlich. Der gut, aber gar nicht italienisch aussehende Besitzer setzt sich kurz zu uns an

den Tisch. Suman Kumar ist kein Italiener, sondern Inder und sehr erfolgreich mit seinem italienischen Restaurant. Im Juni feiert er 25-jähriges Jubiläum auf der schönsten Meile St. Georgs.

Auf's Leben
Peggy bestellt Malzbier, ich Weißwein und dazu Leitungswasser. Das Malzbier serviert der Kellner überraschenderweise im Sektglas. Aber er kennt das schon, ihre zarten Arme können die fetten Bierhumpen nicht stemmen. Wir trinken "Auf’s Leben!". Wir bestellen den gleichen preiswerten Mittagstisch nur mit anderen Beilagen: Wiener Schnitzel. Den Salat davor genieße ich, Peggy ist völlig heiß auf das Eissorbet zum Nachtisch und hofft später fast ein bisschen verzweifelt, dass es nicht wieder geschmolzen ist, bis es am Tisch landet.

Dreimal Peggy Parnass im Netz
Eigentlich wollten wir über ihre Lesung mit Ensemblemitglied Michael Weber im Deutschen Schauspielhaus sprechen. Aber Peggy interessiert sich mehr für die Einträge, die ich auf mein Mobiltelefon-Display, auf der Suche nach Einträgen über ihre Werke, zaubere. Die im Leben einzigartige namhafte Peggy Parnass - ihr Name ist echt, Parnass hießen alle in ihrer Familie - existiert auf Facebook gleich dreimal: So gibt es zwei Facebook-Accounts über sie - der eine mit dem Bild, das ihr gut gefällt, wird wohl von Freunden von ihr betreut. Aber wer bedient den anderen Account mit dem gleichen Foto wie auf dem fehlerhaften Wikipedia-Eintrag, das Peggy scheußlich findet.
Zudem gibt es eine junge blonde Frau, die unter dem gleichen Namen agiert, die aber augenfällig nicht Peggy Parnass ist. Wer weiß, was diese Frau unter dem von Peggy geklauten Namen damit alles anrichtet? Dem will Peggy, jetzt einen Riegel vorschieben. Optisch verwechselbar sind die beiden sowie nicht. Ich hab sie per Mail gefragt, was das soll und wer sie ist. Keine Antwort.
Apropos Fragen und Antworten: Vieles von dem was über Peggy im Netz geschrieben steht, stimmt nicht! Angefangen vom Geburtsdatum - Peggy mag keine Zahlen - bis hin zur Bezeichnung als Deutsch-Schwedin.

Salambo Schauficken und Nazi-Schweine
Vier Nächte habe sie nicht geschlafen, erzählt sie Freunden und Filmemachern vom MPZ vor der Lesung. "Ich bin völlig ausgelaugt" und habe Angst vor Film und Auftritt. Untergehakt bei ihrem Kollegen betritt die Parnass die Bühne mit den zwei roten Plüschsesseln zu ihrer Wunschmusik, Ravels Bolero. "Da ist alles drin: Leidenschaft, Katastrophe, Sehnsucht." Gelesen wird im Wechsel aus ihren Büchern, die viele im Zuschauerraum zu kennen scheinen.
Dazwischen immer wieder Zeit zum unterhaltsamen Plaudern, sogar die beiden Tontechniker und auch die Kollegen, Jürgen und Gerhard, die für das Medienpädagogik Zentrum Hamburg (MPZ) drehen, hören interessiert zu. Warum sie mit dem Schreiben der Gerichtsreportagen Anfang der 70er Jahre angefangen hat, fragt Michi, die Fragen aller Fragen: "Weil ich so eine Wut im Bauch hatte", platzt es aus Peggy heraus. Da ist sie, diese empörte Energie, diese Wut im Bauch, mit der sie nachhaltig beeindruckt.
Von den 500 besuchten Prozessen, von denen 81 Berichte im Buch "Prozesse"(1970 - 1978) landeten, galten nur zwei Nazi-Verbrechern bemängelt Peggy. Und es empört sie auch nach der 16. Auflage immer noch, dass während andere Mörder damals von dem bieder wirkenden Eduard Zimmermann per TV-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" oder auf RAF-Plakaten (wie ihre Freundin Ulrike Meinhof) gesucht wurden, diese Mörder lange unbehelligt unter uns lebten. Beim Prozess von Dr. jur. Ludwig Hahn - dessen Gesicht niemand kannte - drehte sich im Gerichtsgebäude die gesamte Journaille erwartungsvoll jedem über 50-Jährigen zu, die Kameras klickten - bei vielen älteren Männern meist vergeblich.
Befragt nach ihrem ersten Prozess erzählt Peggy: "Das war witzig. Es ging ums Salambo mit erstem Live-Schauficken". Das habe der angeklagte Besitzer, René Durand, damals im Gerichtssaal auch genau vorgemacht, sie fand die Live-Besuche in seinem Club aber eher langweilig. Wie bei all ihren Erzählungen schreckt die Autorin auch vor derben Wörter wie Schwein, Ficken und Wortkonstruktionen wie "Marzipanarschgesicht" (erster Applaus) nicht zurück. Peggy nimmt Worte in den Mund, die viele auch junge Leute nicht mal hören mögen - aber Peggy’s Publikum lacht.

Ehrlich bis auf die Knochen
Die Zuschauer erfahren viel von Peggy, sie ist immer persönlich und direkt. Sie kann gar nicht anders. Und Peggy ist auch immer politisch
- nicht nur auf den großen Bühnen, auch in ihrem Stadtteil – ob beim Kampf ums Savoy-Kino oder um die Buchhandlung Wohlers — sie kann gar nicht anders. Oder, wie Michi Weber aus einem Vorwort von Ralph Giordano zitiert: "Peggy ist ehrlich bis auf die Knochen. Ihre Ehrlichkeit ist die Größe dieser zierlichen Person. Ihre Stärke und ihre verheerende Verwundbarkeit."
Mit Giordano beschloss sie übrigens nie mehr über Politik zu diskutieren, es machte keinen Sinn und hätte sonst zwangsläufig zum Ende der Freundschaft geführt. Die gemeinsame Basis für die Freundschaft war die Verfolgung. Israel - Palästina entweder oder, da gab es keine Gemeinsamkeiten, das sahen sie zu unterschiedlich. Auch zum gern beschriebenen Bundesverdienstkreuz haben ihre beiden langjährigen Freunde Giordano und Georg-Stefan Toller sie "rein gequatscht" nachdem sie sich ein Jahr wehrte nach dem Motto, "Peggylein, die Zeiten haben sich geändert" und sie sei in guter Gesellschaft. Doch schon am Tag nach der Verleihung bereute die Patriotin der Menschenrechte es - fühlte sich unwohl im Kreis derer, die das Verdienstkreuz schon unverdient bekommen haben. Trotzdem waren sie Freunde. Eine große Toleranz Andersdenkenden gegenüber - auch das zeichnet Peggy aus.
"Ich kann ja nix, ich hab ja nichts gelernt", sagt Peggy zu Michi Weber. Das ist eine grobe Untertreibung. Das Leben hat Peggy so vieles gelehrt - privat wie politisch - und nimmt kein Blatt vor den Mund und ihr dabei zuzuhören ist einfach nur großartig.
Den Abschluss bildet Michis Liedwunsch "Soldiers Joy"- ein unterhaltsames Banjo-Stück. Den Titel hat ihr Bühnen-Kompagnon der überzeugten Pazifistin absichtlich vorenthalten, sie wäre wohl sonst eventuell nicht mit ihm auf die berühmten Bretter, sondern eher auf die viel zitierten Barrikaden gegangen.

Aktueller denn je
Peggy war übrigens nie Deutsche. Nach einer langen Zeit als Staatenlose hat sie heute einen schwedischen Pass. Daher rührt ihr empfindlich verinnerlichtes Mitgefühl mit Flüchtlingen und anderen Ausgestoßenen und Minderheiten - und das macht ihre Energie aus. Ihr "kleiner" Bruder Gady ist inzwischen Engländer und Israelie und lebt in einem israelischen Kibbuz zwischen Tel Aviv und Haifa. Alle zwei Jahre war sie sechs Wochen bei Gady, "fühle mich in Israel aber immer als Palästinenserin", sagt die Weltbürgerin.
Auch heute Abend. Nach zweistündiger Unterhaltung ist Peggy munter. Sie signiert ihre Bücher und wirbt kollegial auch für die Werke ihres Kollegen Weber. Vier jüngere Frauen gestehen ihr nach der Lesung, dass sie den ganzen Abend geweint und gelacht haben. Das beeindruckendste des Abends ist sicherlich für alle: Die Texte, die Parnass vor Jahrzehnten schrieb (wie "Im Namen des Volkes") sind aktueller denn je. Leider sicher auch noch am Donnerstag, den 22. März 2018 bei der Wiederholung der Lesung. Dann im komfortablen Malersaal.
Apropos: Nach dem bewegenden Lese-Abend haben sich ein paar Freunde von ihr und Michi Weber noch in der Schauspielhaus-Kantine lebhaft unterhalten. Am nächsten Tag erzählt Peggy stolz, dass sie die Nacht wunderbar geschlafen hat "alles lovely". Es gibt halt Menschen, die die Bühne brauchen - und die Bühnen dieser Welt brauchen sie - auch wenn sie noch so klein sind. Übrigens: Von der jungen Frau, die unter dem Pseudonym herumläuft, haben wir noch nichts gelesen. Marina Friedt

Illustration: Ulli Pforr
Fotos: Andrea Hackbarth und Marina Friedt

Noch mehr Eindrücke über Peggy Parnass können Sie am Freitag, den 23. März 2018 erhalten. Das Vor-Ort-Kino im Vor-Ort-Büro am Hansaplatz zeigt um 20 Uhr den Dokumentarfilm: "Peggy Parnass - Überstunden an Leben"

 

   

Mit freundlicher Unterstützung von

   

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